„Durch die bundes- und länderpolitisch getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurde das Alltagsleben erheblich eingeschränkt. Dies gilt für alle Altersgruppen, jedoch hat dies gerade im Jugendalter besondere Auswirkungen, weil das Jugendleben sich vielfach im öffentlichen Raum, in institutionellen Settings und mit einer sozialen Veränderungsdynamik abspielt und somit nicht allein in das Bild der Regulierung von Familienhaushalten und Homeschooling passt“
[Die „JuCo II-Befragung“ zeigt,] „dass für die meisten jungen Menschen Sport- und Bewegungsangebote interessant sind, wobei das gleichzeitig der Bereich mit den größten pandemiebedingten Einschränkungen ist. Nur noch 8,4 Prozent aller befragten jungen Menschen nahmen im November 2020 an Sportangeboten vor Ort, digital oder hybrid teil – vorher waren es knapp 30 Prozent. 31,4 Prozent der zuvor Teilnehmenden nehmen aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr an Sportangeboten teil, knapp 60 Prozent geben an, ihr Angebot sei weggebrochen“
Sabine Andresen et al., 2021, Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie
Die Pandemie bleibt weiter ein wesentlicher Einflussfaktor auf Freizeitverhalten und Freizeitangeboten junger Menschen. Im ländlichen Raum schaffen sich Jugendliche mit Hilfe von Hoch vom Sofa! selbst wichtige Angebote und Möglichkeiten, wie der Praxisbericht aus Schlungwitz beweist.
Erdbewegung in Schlungwitz!!!
Entdeckt, ja sogar ausgelöst, wird dieses nicht ganz natürliche Phänomen von einer Gruppe 10- bis 14-jähriger Jungs. Man musste bei der Vor-Ort-Recherche nicht einmal einen Seismographen anstellen, sondern sah die Rasenstücke und Erdklumpen augenscheinlich fliegen. So konnte man sich davon überzeugen, dass die entstandenen Hügel und Gräben für die unmittelbaren Nachbarn als völlig unbedenklich eingestuft werden können und hierbei viel eher von einer kreativen Erneuerung gesprochen werden kann.
Ursachenforschung
Vier schaufelnde Augenzeugen berichteten wie es dazu kam:
Fast jeden Tag treffen sich Jakob, Jeremy, Fabian und Charlie mit weiteren Freunden draußen und probieren dabei alles aus, was 2 oder teilweise 4 Räder hat. Sie haben keine Lust zu Hause zu hocken. Klar gibt es die Fraktion der Gamer im Ort, aber dazu gehören sie nicht. Sie brauchen Bewegung und was zu tun – am besten etwas, was mit ihren Bikes zusammenhängt. Doch einen gut geeigneten Parcours für Kunststücke jeglicher Art, den findet man erst ein ganzes Stück weiter in Bautzen, im Oberland oder in der Dresdner Ecke. Als die Gruppe, welche durchaus auch mal bis zu 10-15 Leuten anwächst, davon erfuhr, dass im Hauptort Gaußig ein Skate-und Bikeplatz entstehen soll, waren sie Feuer und Flamme! Vom Bürgermeister erfuhren sie, dass es dann doch nicht ganz so schnell geht, eine sehr kostenintensive Asphaltfläche neu aufzubauen.
Doch es lohnte sich, nachgefragt zu haben. Denn im selben Gespräch kam das Angebot, ein altes Kita-Gelände in Schlungwitz dirtbike-tauglich aufzubauen. Und so kann man ganz viel mit den eigenen Händen bewegen, was sonst Profis überlassen werden müsste. Außer ein bisschen Struktur durch die begleitende mobile Jugendarbeit der Valtenbergwichtel e.V. und dem Vertrauen, welches Bürgermeister und Einwohner dem Projekt in beeindruckender Weise entgegenbringen, braucht es also nur noch Schaufel, Spaten und ein wenig Material. Und da konnte die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH mit dem Hoch vom Sofa! – Programm das Nötige dazu beitragen.
Schultasche in die Ecke – und ab auf den Spot
Keine Angst! Schule kommt schon nicht zu kurz. Nur verlagert sich die Zeit des Hausaufgabenmachens in die Abendstunden, wo durch die Dunkelheit nicht draußen gebuddelt, gesägt, gehämmert und geschraubt werden kann. Dafür gibt es dann auch keinen ausgeklügelten Plan. Jeder darf „mitwerkeln“, wo er es für sinnvoll erachtet – egal wie alt er oder manchmal auch sie ist.
Inspiration gibt es auf gemeinsamen Ausflügen. Einige waren vor kurzem in Jump-Parks in Hoyerswerda oder Dresden und es entstand die Idee, so genannte Foam-Pits (mit Schaumstoffstücken ausgelegte Gruben) auch im Bike-Areal einzubauen. Wenn alles gut läuft, gibt es von dort auch ausgemustertes Material. Angefragt wurde schon. Bei so viel Mut zum Kontakte „schmieden“ kann es nur klappen!
In diesem oder auch in anderen Aktionen wird sichtbar, dass sachsenweit eine Szene wächst, die voneinander sehr profitiert. Eine Szene völlig ohne Star-Allüren. Da kann man als noch ganz junger Anfänger auch mal bei den medial bekannten Profis auf dem Home-Spot „reinschneien“ und baut und rollt gemeinsam, was das Zeug hält. Als Jakob von einer solchen Begegnung mit Lukas Knopf – einem der weltbesten Mountainbiker – berichtet, glänzen seine Augen und das Autogramm auf dem Helm wird mir mit Stolz präsentiert.
Vergangenheit und Zukunft – ganz eng beieinander
Nachdem dann auch noch von Räumlichkeiten erzählt wurde, welche von der Gemeinde in der benachbarten Sporthalle als Jugendtreff angeboten wurden, stieg die Begeisterung weiter. Hier könnte eine winterfeste Bike-Werkstatt zum selbst reparieren entstehen. Wer hat so was schon mit ca. 12, 13 Jahren? Aber das ist dann wirklich Zukunftsmusik!
Beim Abschied von der Gruppe fiel dann noch eine Schautafel auf. Neugierige können dort von der Doberschauer Schanze lesen, die sich hier 100m vom Parcours entfernt vor reichlich 1000 Jahren befand – ein Schutzwall, der in Kriegszeiten Feinden trotzen sollte. „Gebuddelt“ wurde also auch damals schon, doch sind die sportlich genutzten Erdwälle der Kids doch tausendmal besser als die Schreckensbauten der Vergangenheit!
Text: Torsten Kluge, Projektbegleiter bei Hoch vom Sofa! 02/2022