Colditz: Sprachrohr, Vermittlerin und Schutzschild

Mit Unterstützung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) hat sich die Stadt Colditz Anfang 2019 auf den Weg gemacht, Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Dafür wurden sogar Räume in der Innenstadt angemietet, die als Projektzentrale ein beliebter Treffpunkt wurden. Initiatorin des Projektes ist die ehrenamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt, Cathleen Pfefferkorn.

DKJS: Wie kam es dazu, dass du dich für Kinder und Jugendliche hier in Colditz einsetzt?

Cathleen Pfefferkorn: Letztes Jahr trainierte ich auf unserem Sportgelände. Gleichzeitig waren Jugendliche mit ihren Fahrrädern da und saßen auf den Bänken herum. Ich bat sie, mir die innere Bahn des Sportplatzes für mein Training freizuhalten. Aber sie fingen an, mich zu beschimpfen und legten ihre Räder in die Bahn. Mein Versuch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, scheiterte. Die Situation eskalierte, ich war stark verunsichert und ging zur Polizei, um mir einen Rat einzuholen, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Sie sagte mir, ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder halte ich mich von den Jugendlichen fern oder ich werde aktiv und stelle mich dem Problem. Ich entschied mich für ein Gespräch mit dem Rektor unserer hiesigen Schule. Er unterstützte mich und holte einen Jugendlichen nach dem anderen zu sich ins Büro. Außerdem suchte ich das Gespräch mit unserem Bürgermeister. Nicht um zu schimpfen, sondern um ihm von meiner Idee zu erzählen, für die jungen Leute einen Treffpunkt zu schaffen und ihnen zu helfen, gegen den Frust ihrer Langeweile aktiv zu werden. Ich wollte mich einfach der allgegenwärtigen Meinung verwehren, dass die Kinder und Jugendlichen das Problem sind, sondern lieber nach Lösungen suchen. Dann flatterte die Ausschreibung von Demokratie in Kinderhand ins Rathaus. Mit dem Start im Programm waren die Weichen gestellt, die Colditzer Kids kommunal zu beteiligen. Ich wurde Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt Colditz

DKJS: Was sind deine Aufgaben, in welcher Rolle siehst du dich?

Cathleen Pfefferkorn: Ich bin vieles: Ansprechpartnerin und Verbindungsglied für die Kinder hier in Colditz, Sprachrohr und Vermittlerin ihrer Bedürfnisse gegenüber Erwachsenen, aber auch ein Schutzschild gegen Kritikerinnen und Kritiker. Wir lernen und wachsen mit unseren Aufgaben. Öffentlichkeitsarbeit, Projektabrechnung, Behördengänge, das gehört alles dazu. Wir möchten, dass die Kinder hier Lust haben auf Beteiligung und lernen, selbst Ideen umsetzen. Unsere Aufgabe ist es, die Kinder da zu unterstützen, wo sie Hilfe brauchen, ihnen Vertrauen zu schenken und den Rücken freizuhalten.

DKJS: Was ist seit dem Start im Programm Demokratie in Kinderhand und damit auch seit deinem Amtsantritt alles in Colditz passiert?

Cathleen Pfefferkorn: Zuerst wollten wir wissen, worauf die Kinder hier eigentlich Lust haben. Unser Projekt tauften wir auf den Namen „Go-Colditz“ und sammelten in einer Ideenwerkstatt Projektideen. Der größte gemeinsame Nenner war ein Colditzer Kinder- und Jugendclub. Also fanden wir gemeinsam mit der Stadt geeignete Räume in der Innenstadt. Das ist unsere „Go-Colditz“ Zentrale geworden, wo ich und eine weitere Ehrenamtliche zweimal wöchentlich zu einem offenen Treff einladen, um an den Projektideen zu arbeiten – sowohl mit den Kindern als auch mit den Jugendlichen. Und immer noch kommen jede Woche zwischen 20 und 30 Kids – eine großartige Bestätigung, dass wir das Richtige tun. Andere Highlights in diesem Jahr waren unser zweitägiges Open-Air-Kinofestival, eine Spielplatzralley mit dem Feuerwehrauto und ein Müllsammelfestival. Es fand sogar ein zweitägiger Graffiti-Workshop statt, bei dem tolle Kunstwerke entstanden sind. Auch an der U18 Wahl haben wir teilgenommen. Unsere Räume meldeten wir kurzerhand als Wahllokal an. Einige unserer Projekte haben durchaus Konfliktpotenzial und wurden kontrovers diskutiert, was wir nicht ausschließlich als negativ empfanden. Tatsächlich war das für uns ein Zeichen, dass wir wahrgenommen werden. Mittlerweile haben wir eine Elterngruppe ins Leben gerufen, die uns tatkräftig unterstützt – ein wichtiges Instrument, um die vielen Aufgaben zu meistern.

DKJS: Was sind deiner Meinung nach die Erfolgskriterien, damit kommunale Kinderbeteiligung funktioniert?

Cathleen Pfefferkorn: Das Fundament, auf dem gute Kinder-und Jugendbeteiligungsarbeit fußt, muss durch die Stadt getragen sein. Dazu gehört Offenheit und der Wille, dass Kinder und Jugendliche sich aktiv beteiligen und die Stadt mitgestalten. Ganz wichtig ist auch Flexibilität in den Köpfen der Erwachsenen: sich zurück auf Augenhöhe der Kinder begeben, eigene Herangehensweisen umlenken und offen sein. Fantasie entwickeln und vor allem: nicht als erstes Probleme benennen, sondern mit Lösungen beginnen. Aber auch ganz pragmatische Dinge wie die Bereitstellung eines Ortes und Projektgelder sind elementar.

DKJS: Welche Rahmenbedingungen brauchst du als Kinder- und Jugendbeauftragte, um deine Arbeit gut machen zu können?

Cathleen Pfefferkorn: Im Ehrenamt ist es sehr wichtig, bürokratische Prozesse soweit wie möglich zu vereinfachen, sowohl für uns als auch für die Kinder. In Colditz gelingt uns das, weil der Bürgermeister und die Verwaltung hinter uns stehen und uns unterstützen. Beispielsweise haben wir in der Stadtverwaltung eine Ansprechpartnerin, die unsere Belange an die jeweils zuständigen Personen übermittelt, was eine enorme Entlastung ist. Und der Bürgermeister antwortet auch noch nach Dienstschluss, wenn es dringend ist.

DKJS: Wo sind die Stolpersteine, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche in Colditz gut zu beteiligen?

Cathleen Pfefferkorn: Die Stolpersteine liegen in unserer heutigen Gesellschaft. Wir formulieren zu oft im Vorfeld, wo Probleme liegen könnten. Viel zu selten formulieren Erwachsene Lösungsansätze. Da sind Kinder und Jugendliche uns meilenweit voraus. Sie legen einfach los, ohne sich vorher darüber Gedanken zu machen, was Scheitern bedeutet oder wo Probleme auftauchen könnten. Junge Menschen brauchen von den Erwachsenen positives Feedback für ihr Engagement. Wenn Erwachsene zu sehr kritisieren und eingreifen, ist die Motivation für immer weg. Außerdem müssen wir aufpassen, dass die Kinder und Jugendlichen nicht ausgenutzt werden. Sie entscheiden selbst, worauf sie Lust haben und worauf nicht. Kinder- und Jugendengagement heißt nicht, sich zwangsläufig am Weihnachtsmarkt zu beteiligen. Der Prozess wird also hauptsächlich durch die falsche Wahrnehmung von Erwachsenen erschwert.

DKJS: Was wünschst du dir für die Zukunft?

Cathleen Pfefferkorn: Dass Kinder und Jugendliche fest im Stadtbild integriert sind und Beteiligung ganz selbstverständlich wird. Und dass irgendwann auch der letzte Kritiker erkennt, dass es etwas bringt, die Erwachsenen von morgen zu beteiligen. Ich wünsche mir auch, dass die Generationen wieder viel näher zusammenrücken und voneinander lernen. Und dass sie offen dafür sind, dass jede Generation unterschiedlich ist – was gut ist. Akzeptanz hat meiner Meinung nach auch etwas mit Respekt zu tun. Der Jugend von heute wird sehr oft Respektlosigkeit unterstellt. Gleichzeitig wird aber auch gern aufgezählt, wo die Jugend nicht ins Stadtbild passt. Meiner Meinung nach haben solche Formulierungen etwas mit Respektlosigkeit gegenüber den Jugendlichen zu tun. Ein Teil der Jugendlichen vom Sportplatz grüßt mich mittlerweile. Für mich ist das ein Erfolg. Unser Engagement lohnt sich also und ich hoffe sehr, dass die Kinder- und Jugendarbeit noch viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält.

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